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Offener Brief zur geplanten Reform des bayerischen Hochschulgesetzes

27.01.2021

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder,
sehr geehrter Herr Staatsminister Sibler,
sehr geehrter Herr Brannekämper, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst,

ein Kernpunkt der angekündigten Hochschulreform, der aus dem am 20.10.2020 veröffentlichten Eckpunktepapier hervorgeht, soll die Novellierung des bayerischen Hochschulrechts sein, das sich durch Verschlankung und Deregulierung die Herstellung größtmöglicher Freiheit der Hochschulen verspricht. Ziel der Novelle soll es sein, die Eigenverantwortung der Hochschulen zu stärken, die Talente und Kompetenzen der Hochschulmitglieder zu fördern und die hohe Dynamik und Innovationskraft der bayerischen Hochschulen zu verbessern.

Wir, die Studierendenvertretung und die Fachschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München, möchten demgegenüber nicht nur die formell bedingte Intransparenz bemängeln, sondern auch den Inhalt der geplanten Reform. Wir fordern, dem Gesetzgebungsvorhaben ausreichend Zeit einzuräumen, d.h. mindestens bis ins Jahr 2022, damit die betroffenen Gruppen und Interessenvertreter:innen ihre Perspektive in einem transparenten Prozess einbringen können. Wir kritisieren, dass das federführende Ministerium auf Kritik aus universitären Statusgruppen und Gesellschaft bislang unzureichend reagiert hat und fordern eine transparente Kommunikation. Nur so kann ein Gesetzesvorschlag entstehen, der den enormen Ansprüchen an eine umfassende Hochschulreform Genüge trägt. Wir möchten diesen Brief als konstruktiven Beitrag im Sinne einer umfassenderen und transparenten Debatte verstanden wissen.

Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten und Erhöhung der Transparenz im Gesetzgebungsprozess

Dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst zufolge seien diese Eckpunkte der Reform im „intensiven Austausch mit den Hochschulverbünden und weiteren Expertinnen und Experten“ entstanden. Von einem transparenten Austausch mit Vertreter:innen der tatsächlich betroffenen Statusgruppen – den Menschen, die an den Universitäten tagtäglich studieren und arbeiten - kann generell im aktuellen Diskurs keine Rede sein. Eine so grundlegende Reform der bayerischen Hochschulen und Universitäten wie im Eckpunktepapier vorgelegt, bedarf einer gründlichen Überlegung und der breiten Zustimmung der Betroffenen. Aufgrund der COVID-19 Pandemie ist allerdings der öffentliche Diskurs über Möglichkeiten und Risiken der Reform erheblich erschwert. Die eingeschränkte Versammlungsfreiheit bietet momentan keinerlei Möglichkeiten zur Verständigung und Diskussion dieses Themas auf Seiten der Studierenden, was durch die unzureichende Kommunikation seitens des Ministeriums noch verstärkt wird.

Zwar liegt die letzte große Novellierung des Bayerischen Hochschulgesetzes im Jahr 2006 bereits 15 Jahre zurück, und auch die Notwendigkeit an einer Novellierung ist durch neue Herausforderungen wie der Digitalisierung, der Internationalisierung und der zunehmenden Transdisziplinarität der Wissenschaften gestiegen. Eine Beteiligung auf Augenhöhe von Studierenden, akademischem Mittelbau, nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Professor:innen stellt hierbei allerdings die Voraussetzung dar. Die Reform kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie von Vertreter:innen aus Wissenschaft und Lehre getragen wird – nicht nur von Politiker:innen sowie den im Papier genannten Expert:innen. Wir fordern also ein transparenteres Verfahren unter Einbeziehung aller involvierten und betroffenen Statusgruppen.

Erhalt der Wissenschaftsfreiheit als oberste Maxime an Universitäten

Der Leitsatz der größtmöglichen Freiheit für Hochschulen schlägt sich auch nieder in der Ökonomisierung und der stärkeren unternehmerischen Ausrichtung der Hochschulen; im Eckpunktepapier wird als neue Kernaufgabe der Hochschulen und Universitäten der “Transfer” genannt. Künftig sollen also die unternehmerische Tätigkeit und die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Universitäten im Vordergrund stehen. Die im Eckpunktepapier gewünschte enge Verzahnung von wirtschaftlichen mit akademischen Interessen gefährdet unserer Ansicht nach die in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Wissenschaftsfreiheit. Forschung und Lehre verstärkt nach ihrem ökonomischen Mehrwert zu messen, schwerpunktmäßig an wirtschaftlichen Ergebnisinteressen auszurichten und Exzellenz anhand von numerischen Indizes errechnen zu wollen, widerspricht grundlegenden Prinzipien der Wissenschaft. Dies bedeutet darüber hinaus eine Gefährdung der Grundlagenforschung in allen Fächern. Obwohl im Eckpunktepapier vom „Ideal der zweckfreien Erkenntnis“ die Rede ist, wird dieser Punkt nicht weiter ausgeführt und scheint der Gesamtausrichtung des Papiers zu widerstreben. Unternehmerische Betätigung ist nicht als Kernaufgabe der Universität zu verstehen, sondern würde die Hochschule von ihrem Wesenskern, Forschung und Lehre, wegführen. Schlechthin widerspräche diese dem Leitmotiv des “Ideal[s] der zweckfreien Erkenntnis”.

Sicherung exzellenter Lehre

Aus studentischer Sicht spielt im Eckpunktepapier die universitäre Lehre und deren Qualität eine vollständig untergeordnete Rolle. Im gesamten Duktus des Papiers, welcher in dem Begriff der “Lehrbelastung” gipfelt, scheint die Lehre wie eine lästige Pflicht, die von den vermeintlich wichtigeren Aufgaben der Forschung und dem Transfer abhält. Dies setzt sich fort in der Idee des universitären Gesamtlehrdeputats, was letztendlich zu einer wettbewerblichen Verteilung der Lehrleistung führen wird, wobei weder die Ausbildung von Studierenden noch die hohe Qualität der damit verbundenen Lehre hinreichend bedacht werden.

Ein solches Gesamtlehrdeputat würde zur Teilung des wissenschaftlichen Personals der Hochschule in Lehrende und Forschende führen. So erhalten Studierende weniger Einblick in die aktuelle Forschung und die neuesten Forschungsergebnisse. Auch für die Mitarbeiter:innen, die sich dann ganz der Lehre widmen, befürchten wir langfristig eine Verschlechterung der Karrierechancen, da sie ihre Forschung zugunsten des Lehrauftrages vernachlässigen müssten. Zugleich kann kein exzellenter Wissenschafts-Nachwuchs mehr ausgebildet werden, wenn Studierende und junge Wissenschaftler:innen nicht von exzellenten Forscher:innen lernen können. Dies widerspricht aus unserer Sicht dem Ziel der bayerischen Staatsregierung, exzellente Lehre und Forschung in Bayern zu gewährleisten, und scheint eher für eine kurzfristige Stärkung vereinzelter Exzellenz Nachteile für die langfristige Entwicklung in Kauf zu nehmen.

Verzicht auf Möglichkeit zur Gebührenerhebung

Im Zusammenhang der Ökonomisierung der Hochschulen kommen auch die negativen Folgen der möglichen Gebührenerhebung für Studierende aus Nicht-EU-Staaten hinzu. Studieren darf keine Frage der finanziellen Lage und der Herkunft sein. Für diese Einstellung hat sich auch die bayerische Bevölkerung 2013 in einem Volksbegehren gegen pauschale Studiengebühren ausgesprochen. Nicht nur kann die Möglichkeit der Gebührenerhebung von Studierende aus Nicht-EU-Staaten zur schleichende Wiedereinführung von Studiengebühren allgemein verwendet werden, die Gebühreneinführung muss auch vor dem Hintergrund des Erhaltes der internationalen Diversität der Hochschulen gesehen werden. Weiterhin sollen auch Studierende aus rein englisch-sprachigen Studiengängen Deutschkenntnisse erwerben müssen, was internationalen Studierenden den Zugang zu bayerischen Hochschulen erschweren wird. Die Maßnahmen stellen damit auch eine Gefahr für das Ziel des Eckpunktepapiers dar, Hochschulen und Universitäten internationaler zu gestalten und Talente aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland für die bayerischen Universitäten zu werben.

Konsequentes Umsetzen von Nachhaltigkeit und Intersektioneller Gleichberechtigung

Nachhaltigkeit und Gleichstellung werden im Eckpunktepapier als bedeutsame Ziele definiert, die allerdings im weiteren Verlauf wie bloße Floskeln wirken, da hierzu tatsächliche Konzepte fehlen. Ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit werden nur drei Absätze gewidmet, die keine konkreten Inhalte ausführen. Beispielsweise soll bis spätestens 2030 die unmittelbare Verwaltung in Bayern klimaneutral sein; durch die Umwandlung in reine Körperschaften und eine entsprechende Loslösung vom Staat könnten sich Universitäten dieser Entscheidung entziehen. Wir fordern demnach konkrete und durchdachte Maßnahmen zur Umsetzung von nachhaltigen Prinzipien an Universitäten. Darüber hinaus möchten wir darauf aufmerksam machen, dass Themen der Gleichstellung, Diversität und Inklusion im Eckpunktepapier marginal zur Sprache kommen. Speziell möchten wir daher fordern, dass der Gesetzgeber die Chance der Hochschulreform nutzt, um aktive Anti-Diskriminierungsstrategien im universitären Leben gesetzlich zu verankern und Geld für entsprechende Projekte zur Verfügung stellt. Die Hochschulen sollen binnendemokratisch in ihren Strukturen konkrete Lösungen erarbeiten können und sich somit noch stärker zu einer Kultur von Akzeptanz und Anti-Diskriminierung verpflichten. Kein Mitglied der Universität soll wegen eines tatsächlichen oder zugeschriebenen Merkmals, wie der ethnischen Herkunft rassistisch, des Geschlechts oder Geschlechtsidentität, der sexuellen Identität, wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sozialen Herkunft, des Aussehens, oder eines anderen Merkmals, diskriminiert werden. Diskriminierte Gruppen sollen gefördert werden.

Erhalt und Förderung demokratischer Strukturen

Des Weiteren sehen wir als Studierende in der geplanten Reform eine Gefährdung der demokratischen Strukturen der Hochschulen und Universitäten. Bei der Umwandlung in reine Körperschaften des öffentlichen Rechts sollen Hochschulen dem Eckpunktepapier zufolge aus ihrer Rolle als partiell-staatliche Einrichtungen entlassen werden. So würden Universitäten und Hochschulen die hybride Gestalt - also als Körperschaft und staatliche Einrichtung – schlechthin entbehren. Um den Bedürfnissen der einzelnen Hochschulen gerecht zuwerden, wird den Hochschulen die Option gewährt, ihren derzeitigen Rechtsstatus beizubehalten, dies jedoch auf dem Wege einer Opt-Out-Option. Wenn also einzelne Hochschulen ihre aktuelle Rechtsstellung beibehalten wollen, müssen sie dies innerhalb einer Frist kundtun. Wir würden ein Opt-In-Modell dahingehend befürworten, da es dabei eine aktive Willensbekundung zur Änderung der Rechtsstellung braucht - dennoch stellt keine der beiden Optionen in jeglicher Form eine angemessene Reaktion auf die Kritik an den Reformvorschlägen dar.

Das Eckpunktepapier sieht vor, dass die tatsächliche Organisationsstruktur der Universitäten nach der Reform die Hochschulleitungen festlegen sollen. Größtmögliche Freiheit bei der Regelung der „internen Governance“ heißt im Eckpunktepapier: „Eine Vorgabe bestimmter Gremienstrukturen existiert nicht mehr“. Demgegenüber setzen wir uns für den Erhalt der binnendemokratischen Gremienstruktur ein, der bei Beteiligung aller Statusgruppen zum Diskurs wechselseitiger Perspektiven führt und die innerfachliche, wie auch gesamtinstitutionelle Qualität der gefassten Beschlüsse sichert. Wir fordern die Festlegung von entsprechenden verbindlichen Leitlinien für die Ausarbeitung der Organisationssatzungen der Hochschulen, welche die Bedürfnisse der Studierenden, des Mittelbaus und des nicht-wissenschaftlichen Personals berücksichtigen und in Zusammenarbeit mit diesen Statusgruppen erstellt werden. Mitspracherecht sowie Mitentscheidungsmöglichkeiten sollen also unter dem Aufrechterhalt der binnendemokratischen Gremienstruktur nicht nur beibehalten, sondern erheblich verstärkt werden.

Bereits zu diesem Zeitpunkt sind Universitäten besonders aus Sicht der Studierenden sehr undemokratisch organisiert, was sich in der geringen Bedeutung von Studierenden und Mittelbau in den Gremien zeigt. Etwa ist Bayern das einzige Bundesland ohne Verfasste Studierendenschaft, welche sich durch den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Satzungshoheit und Finanzautonomie kennzeichen würde. Diese gesetzliche Stellung würde uns Studierenden wichtige Kompetenzen einräumen. Wenn in Bayern als einzigem Bundesland im Jahr 2021 eine solche Verfasste Studierendenschaft noch immer nicht wiedereingeführt werden soll, so ist dies hochgradig begründungspflichtig. Diesem Bedürfnis kommt die im Eckpunktepapier angedachte Einrichtung eines Landesstudierendenbeirats ohne konkrete Mitwirkungsrechte in keinster Weise nach.

Universitäten als Institutionen der Demokratie

Hochschulen und Universitäten schaffen als Studiums- und Bildungsorte wissenschaftliche, kulturelle und soziale Erkenntnisse, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist also in den Universitäten und Hochschulen beheimatet. Diese Errungenschaften werden nicht durch die wirtschaftliche Betätigung der Hochschule vorangetrieben, sondern durch die wissenschaftliche Freiheit und Leidenschaft in Forschung und Lehre. Wir hoffen, dass der Verantwortung der Hochschulen in der Wissenschaft und Gesellschaft und gegenüber ihren Statusgruppen auch in Zukunft Rechenschaft getragen wird.
Demokratie als strukturierendes Prinzip von Politik und Gesellschaft wird nicht vorangebracht, wenn sie lediglich auf politischer Ebene angewandt wird. Die Universität muss wie alle gesellschaftlichen Institutionen so demokratisch wie möglich aufgebaut sein, um die Demokratie in Politik wie Gesellschaft konsequent zu fördern. Demokratische Staaten brauchen demokratische Universitäten.

 

Wir möchten mit diesem Offenen Brief unseren Beitrag zu einer differenzierten Auseinandersetzung und einem breiten Diskurs in der gesamten Gesellschaft leisten. Eine Stellungnahme zu unseren Anregungen Ihrerseits sowie einen weiteren Dialog würden wir sehr zu schätzen wissen.

Mit freundlichen Grüßen

Der Konvent der Fachschaften der LMU München

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